Das hungrige Rudel
Meine Großmutter Margarethe lebte mit ihren Eltern auf dem sogenannten Vorwerk von Elvershagen in Hinterpommern. Es gab damals noch viele große Wolfsrudel. Die Familien schützten sich und ihr Vieh, indem sie große Mauern um ihre Höfe bauten und im Winter das Vieh mit ins Haus nahmen. Die Tiere lebten in der unteren Etage der Häuser, die Menschen schliefen eine Etage über dem Vieh und hatten so gleichzeitig Wärme und Schutz.
Die Eltern meiner Oma hatten eine Herde Merinoschafe und lebten davon. Im Sommer gab es zum Schutz der Schafe einige wehrhafte gut ausgebildete Hütehunde, die zu ihrem Schutz Halsbänder mit nach außen gerichteten Stacheln trugen und angreifende Wölfe von den Schafen verjagten. Darauf waren diese Hunde abgerichtet.
Im Winter waren die Wölfe oft sehr hungrig.
Die Mutter meiner Oma war hochschwanger und die Wehen hatten eingesetzt. Es war ein kalter schneereicher Winter, als das passierte. Sie hat ihre Kinder sehr schwer bekommen und starb auch zusammen mit ihrem Kind bei der Geburt des 8. davon. Sie brauchte dringend einen Arzt, als die Wehen eingesetzt hatten, das wusste meine Oma.
Deshalb spannte sie trotz Schneesturm den Hengst und die Stute ein, um vom Vorwerk ins nahe Dorf zu fahren, denn sie musste den Arzt holen. Auf dem Rückweg wurden sie und der Arzt von einem Rudel hungriger Wölfe verfolgt, die sehr schnell durch den Schnee liefen und das Pferdegespann schon fast eingeholt hatten.
In rasender Fahrt entschloss sich meine Oma deshalb, auf die Deichsel der Kutsche zu steigen und den Hengst auszuspannen, wohl wissend, dass er mutig seine Stute verteidigen und sich dem Wolfsrudel entgegen stellen würde. Sie schaffte das auch und kam wohlbehalten zur Kutsche zurück. Weiter ging die Fahrt im schnellen Galopp nur mit der Stute. Der Hengst blieb zurück und griff das Wolfsrudel an.
Als Oma und der Arzt den Hof erreicht hatten, schlossen ihre Gehilfen schnell das Tor. Der Arzt konnte nun der Mutter helfen, ihr Kind auf die Welt zu bringen.
Nur wenig später sprang der Hengst über die Hofmauer. Er hatte eine tiefe Fleischwunde an der rechten Flanke, aber er lebte. Zwei Wölfe sprangen hinter ihm her, die daraufhin von den Gehilfen der Schäfer-Familie mit Knüppeln erschlagen wurden.
Früher waren die Zeiten anders als heute. Pferde waren Futter für ein hungriges Wolfsrudel und damals gab es in Hinterpommern so viele Wölfe, dass sie im Winter oft vom Wild allein nicht satt geworden sind und deshalb nach anderen Nahrungsquellen suchten.
LG
Renate
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