Der Tod des Schafs am Waldrand
Ich kann mich leider nicht mehr an alle alten Geschichten meiner Großmutter so genau erinnern, dass ich mich trauen würde, sie hier als wahr aufzuschreiben, aber an diese zweite Wolfgeschichte erinnere ich mich noch sehr genau.
Meine Oma musste als Kind oft tagsüber die Schafe hüten. Es waren Merino-Schafe, die nachts nicht draußen blieben und die auch nicht auf einer Weide mit einem Zaun drum gehalten wurden. Diese Schafe durften zum Beispiel aufgrund ihrer langen Wolle auch nicht sehr nass werden.
Meine Großmutter war nach der Flucht nämlich sehr erstaunt darüber, dass die Schafe hier in Schleswig-Holstein, die eine ganz andere Wolle haben, im Regen draußen bleiben können und einfach auf der Weide gehalten werden.
In Hinterpommern war das also anders. Es war immer eine Hüteperson dabei, die tagsüber auf die Schafe achtete und außerdem mehrere sehr bissige und wehrhafte Hütehunde dabei hatte, die ein dickes Fell hatten und zusätzlich am Hals noch durch ein Stachelhalsband mit nach außen gerichteten Stacheln geschützt waren. Der Grund waren die in Hinterpommern damals noch zahlreichen Wölfe, die meine Oma nicht als ungefährliche Tiere beschrieb und die nicht nur wilde Tiere, sondern auch gern einmal kleinere Weidetiere wie Schafe gefressen haben, wenn sie eines bekommen konnten.
An diesem Tag, den ich in Bezug auf die nächste Wolfsgeschichte beschreiben möchte, war es schon später Nachmittag und die Dämmerung setzte ein. Es war Zeit, bald mit den Schafen nach Hause zum Stall aufzubrechen, damit sie nachts drinnen wären.
Meine Oma saß unter einem Baum. Die Hütehunde waren nicht an der Seite des Waldrandes aktiv, von der die beiden Wölfe plötzlich kamen, um sich ein Schaf zu holen, sondern anderweitig damit beschäftigt, die Herde zusammenzuhalten.
Oma sah die beiden Wölfe aus dem Wald kommen, denn eines der Schafe hatte sich zu nah an den Waldrand gewagt, um dort zu grasen. Blitzschnell schossen die beiden Wölfe aus dem Wald hervor, packten das Schaf und rissen es binnen Sekunden in zwei Teile. Dann schleppten sie es schnell zu ihrem Rudel in den Wald hinein, noch bevor die Hunde auch nur in die Nähe kamen, um etwas dagegen zu tun.
Oma schauderte, denn sie hatte Angst vor Wölfen.
Ich kann das gut nachvollziehen, auch wenn ich finde, dass für mich Wölfe faszinierende Wesen sind. Ich habe im Leben viele Romane über Wölfe gelesen oder Filme über Wölfe gesehen. Wir hatten auch einmal einen Schäferhund-Wolfs-Mix in der Familie, so dass ich das Wesen dieser Halbwolf-Hündin genau kennenlernen konnte. Dennoch würde ich mir nicht wünschen, dass es in Schleswig-Holstein, wo es ja wieder wilde Wölfe gibt, nun wieder so viele gäbe wie damals in Hinterpommern und sie eine Gefahr für unser Vieh oder gar die Menschen selbst darstellen könnten.
LG
Renate
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