Dienstag, 5. Mai 2015

Nächste Zwischenrezension "Verstoßene Eltern"

Poste bei Jürgen, bitte nicht wundern, mein PC spinnt zur Zeit


Ich bin nicht Jürgen, sondern Renate. Weil mein PC nach einem Antivir-Update mal wieder total spinnt und sich laufend heiß läuft, so dass ich nicht arbeiten kann, schreibe ich einfach mal hier. Ich habe nämlich die Zeit des Getöses meines blöden Uralt-Geräts genutzt, um einige Seiten in Birgit Belaus Roman "Verstoßene Eltern" mehr zu lesen, mit der ich mich ja privat darüber austausche, ob es Parallelen zwischen unseren Erlebnissen und Lebensgeschichten gibt, die dazu geführt haben könnten, dass wir beide von unseren eigenen Kindern verstoßen wurden.

Nun ja ... auch beim Weiterlesen finde ich so einiges an Parallelen zwischen Birgits und meinem Leben, aber wiederum auch nicht immer.

Sie beschreibt viele Dramen aus der Hitlerzeit, die auch die Familie ihres heutigen und einzigen Ehemannes betreffen. Diese Geschichten sind schlimmer als das, was sich in der Familie meiner Schwiegereltern zugetragen hat, auch wenn es schon durch Krieg und Kriegsgefangenschaft auch bei meinen Schwiegereltern schlimme Zeiten gegeben hat. Ob mein Schwiegervater dadurch zum Alkoholiker und seine Ehefrau psychisch krank wurden, sei dahin gestellt. Es mag so gewesen sein, denn der Krieg hat sicher eine ganze Generation nicht unberührt gelassen.

Birgit beschreibt dann ihre junge Ehe und sexuelle Schwierigkeiten ihrerseits, wobei ich den Eindruck habe, dass die sich mit den Jahren bei ihr gebessert zu haben scheinen, denn später berichtet sie positiver über ihre Sexualität. Sie ist in psychotherapeutischer Behandlung, was ihr wohl auch geholfen haben mag.

Ich selbst hatte keine Probleme mit meiner eigenen Sexualität, als ich ein junges Mädchen und eine junge Frau war, ich habe bis heute keine Probleme mit meiner eigenen Sexualität. Ich hatte vielmehr Probleme damit, dass mein Ex-Mann Probleme mit seiner Sexualität hatte und es ihm unmöglich war, emotionale Nähe zu mir zu finden .. und das war mein Problem mit der Sexualität in meiner ersten Ehe. Mein Ex-Mann war so weit entfernt, er konnte mir auch nicht in die Augen sehen, auch nicht beim Sex.

Ich habe erst im Alter von 54 Jahren in meiner 2. Ehe erfahren, dass auch ein Mann einem beim Sex emotional nahe kommen .. da sein kann .. und nicht wie im Rausch irgendwo, wo man ihn nicht erreichen kann, weil er diese Nähe gar nicht zulässt wie es bei meinem ersten Mann der Fall gewesen ist.

Das unterscheidet Birgit und mich deutlich.

Auch die erste Schwangerschaft habe ich anders als sie erlebt. Sie hat Angst, dass sie ihrem Baby nicht gerecht werden könnte, obwohl sie das so gern möchte. Solche Ängste hatte ich nicht.

Wir wurden zwar beide nicht gerade durch die Familien in unseren Ehen unterstützt, sondern eher angefeindet, aber obwohl ich mein 1. Kind nicht geplant gewollt habe, sondern gern Journalismus studiert hätte, freute ich mich später auf das Baby, habe es auch gleich von Herzen geliebt. Das tat Birgit auch .. sie empfand ihr 1. Kind genauso wie ich meines als wunderschön und liebenswert. Vermutlich tun das die meisten Mütter, wenn sie halbwegs normal sind. Ich hatte aber anders als sie nie die Angst, meinem Kind nicht gerecht werden zu können.

Birgit hatte es einerseits gut, denn sie konnte sich selbst von Anfang an um ihr 1. Kind kümmern, was mir verwehrt blieb, denn mein Ex-Mann konnte ja nicht mit Geld umgehen und nutzte die Möglichkeit, dass meine Mutter den Haushalt und die Versorgung unserer Vanessa übernahm, damit ich arbeiten und Geld verdienen konnte. Meine Mutter vereinnamte Vanessa dabei so sehr, dass sie ihr sogar meinen vorherigen Spitznamen gab und mich kaum an mein eigenes Kind heran ließ. Sie würde auch später Vanessa immer allen weiteren meiner Kinder vorziehen und wollte selbst nur dieses eine anders als mein Ex und ich, denn wir wollten mehr als ein Kind haben.

Auch wenn Birgit das Gefühl hatte, ihrer Tochter nicht gerecht werden zu können, so denke ich von der Beschreibung her, dass sie sich gut um das Kind gekümmert hat. Es liest sich jedenfalls so.

Anders als sie wiederum habe ich meine Mutter, obwohl sie Vanessa sehr für sich in Anspruch nahm, gern um mich gehabt und ihr vertraut, jedenfalls meistens. Birgit stieß selbst auch die eigene Mutter weg, die sich immer wieder in Briefen bei anderen Leute darüber beklagte. Birgit empfand das als Hetzen.

Ich habe eher meiner Schwiegermutter nicht allzu viel Kontakt zu meinen Kindern gestattet, nachdem sie beim ersten Versuch meine schreiende Vanessa stundenlang im Schlafzimmer eingesperrt hatte und ich ein vor Angst und Geschrei ganz heiseres Kind bei ihr vorfand, als ich nach einer Beerdigung wieder zu ihr zurück kam, um meine Tochter abzuholen. Das war das erste und letzte Mal, dass meine Schwiegermutter eines meiner Kinder länger als nur unter meiner Aufsicht bei Besuchen hat haben können.

Anders als Birgit habe ich vier Kinder bekommen. Es gefiel mir nicht, dass meine Mutter Vanessa vorzog und wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, oft sagte, kümmer Dich um Deine Kinder und mir dann Manuel oder Esther sozusagen in die Hand drückte, während sie weiterhin bevorzugt Vanessa versorgte. Vanessa war genauso mein Kind wie alle anderen und Manuel, Esther und Marius ihre Enkelkinder.

Ich hätte bald gern deshalb aufgehört zu arbeiten, um hier einiges zu ändern, aber das ging nicht, denn mein Ex-Mann machte laufend mehr Schulden und betrog mich mit Prostituierten oder spielte, so dass ich anders als Birgit in einer bösen Zwickmühle feststeckte, was die Versorgung meiner Kinder betraf.

Dennoch ging es uns vermutlich in den ersten Jahren noch finanziell besser als Birgits Familie, die von viel Armut redete, weil ihr Mann im Außendienst zu wenig verdiente.

Ich hatte ein eigenes Haus, zuerst noch nicht sehr hoch verschuldet und habe viel Geld verdient, so dass ich eine Weile in der Lage war, die Katastrophen, die mein Ex immer wieder anrichtete, recht gut aufzufangen und den Kindern dennoch viel zu bieten. Meine Freizeit habe ich übrigens grundsätzlich mit den Kindern und der Familie verbracht. Die Kinder waren mein Hobby und mein Ein und Alles, auf das ich mich nach Feierabend, an den Wochenenden und im Urlaub immer sehr freute.

Parallelen gibt es dann zwischen  Birgit und mir wieder große bei der Geburt ihres 2. und meines 4. Kindes.

Wir beide erlebten Ärztepfusch bei der Entbindung und haben dadurch ein spastisch gelähmtes Kind auf die Welt gebracht, das unter viel Aufwand beturnt werden musste. Im Unterschied zu Birgit und ihrer Tochter waren Marius und ich allerdings durch diesen Ärztepfusch sogar vorübergend aufgrund meines Herzstillstandes dabei tot und wurden wiederbelebt. Bei mir standen nicht Schmerzen, sondern dieses Todeserlebnis im Vordergrund, etwas, das man nie mehr im Leben vergisst, wenn man glaubt zu sterben und denkt, dass eigene Baby stirbt jetzt mit einem und dann wie durch ein Wunder doch beide überleben. Ich war meiner Hebamme immer so dankbar, dass sie geholfen hat weiterleben zu dürfen .. es lag an dem Arzt, nicht an ihr, was uns passiert ist damals.

Birgit beschreibt es noch drastischer und für sie quälender, ständig mit dieser Spezialgymnastik ihre kleine Tochter malträtieren zu müssen, die genauso wie mein Sohn bei diesen Übungen laufend geweint hat. Ich kenne das. Ich habe aber anders als Birgit eigentlich von Anfang an gedacht, es muss einfach sein, denn sonst landet mein Kind im Rollstuhl und wenn ich will, dass er ein normales Leben führen kann, jedenfalls halbwegs, dann muss ich das für ihn tun. Ich hatte nicht diese Abwehr bei den Übungen, weil sie sein mussten. Birgit ja.

Aber das uns unsere Kinder leid taten, das hatten wir wohl gemeinsam.

Birgit sieht einen Grund in diesen Übungen, dass sie in den Augen ihrer beiden Töchter später zu einer bösen Mutter wurde.

Das habe ich noch nie so hinterfragt .. es ist interessant, dass sie es tut, denn meine anderen Kinder und auch mein Kleiner, der mich als einziger heute noch besuchen kommt, aber auch nicht wirklich mehr offen mit mir umgeht, haben natürlich auch Jahre miterleben müssen, dass ich mit diesen Übungen mein eines Kind hab quälen müssen, damit es heute fast normal ist.

Mein Sohn hat über eine spätere Erkrankung über seinen Arzt übrigens erfahren, wie viel Mühe dazu gehört hat, ihn so zu beturnen, dass er sich heute fast normal bewegen kann. Er hat mir das erzählt. Vielleicht hat er so begriffen, dass ich ein wenig Anerkennung verdient habe .. vom Kopf her. Aber ich bin nicht sicher, ob es auch bis zu seinem Gefühl angekommen ist, und das ist ein Unterschied.

Dass Birgit in ihrem Roman beschreibt, wie viel Kraft die Mutter eines spastisch gelähmten Kindes haben muss, um es vor dem Leben im Rollstuhl und im Behindertenheim zu bewahren und auch, dass vielleicht dabei die anderen Kinder ein wenig auf Strecke bleiben, das gefällt mir.

Ich könnte es so gut wie sie sicher nicht ausdrücken, aber sie hat recht.

Für mich kam hinzu, dass ich damals nicht nur, aber auch wegen der Beturnerei meines Jüngsten aufhören musste zu arbeiten. Es gab aber noch weitere Gründe, die im Verhalten meines Ex lagen, der schon wieder neue Schulden gemacht und damit die Zwangsversteigerung unseres Hauses verursacht hatte. Außerdem war meine Mutter mit dem pubertierenden Manuel hoffnungslos überfordert, der auch eine jüngere Mutter zu Hause brauchte und stotterte, was wieder weg ging, als ich Hausfrau wurde und da war.

Aber das brachte meine Familie dann in die Situation der totalen finanziellen Not und wiederum auch in die Situation, dass Schwarzarbeit, die mein Ex als Handwerker immer gut machen konnte, diese Not für die Kinder etwas erträglicher machen konnte ... obwohl ich wusste, er gibt das meiste davon aus, um mich Prostituierten zu betrügen und seinen perversen sexuellen Bedürfnisse zu stillen.

Es war mir damals klar geworden, ich bin sein zu Hause, aber er hasst seine Sexualität, hat eine vollkommen gespaltene Einstellung dazu, kann sie mit mir nicht ausleben .. hast Frauen an sich und lebt das aus, indem er für teures Geld zu Nutten geht .. ich suchte Liebe, aber fand sie bei ihm nicht, habe sie auch vorher nie finden können, weil mein Ex zu Frauen immer eine Art Hass-Liebe empfinden wird, die jede Frau auf Dauer einfach erschlägt, weil es niemand aushält, immer wieder mitten ins Gesicht geschlagen zu werden.

Ich musste das den Kindern zuliebe aber aushalten ... das Problem hatte Birgit nicht.

Ihre jüngere spastisch gelähmte Tochter hat sich genauso wie mein jüngster Sohn sehr gut entwickelt und eine große musische Begabung entwickelt. Das ist bei meinem Kleinen ganz ähnlich verlaufen, auch er ist eher musisch talentiert, wenn auch auf andere Weise, indem er komponiert hat oder gelernt, mit dem Computer sehr schöne graphische Dinge zu gestalten. Birgits Tochter geht zum Ballett und ist auch sonst sehr begabt, wird später deshalb sogar ein bekannter Fernsehstar werden.

Ich bin jetzt ungefähr an der Stelle angekommen, wo Birgit ihre ersten Urlaubsreisen mit ihrem Mann beschreibt, wie sie da aufgeblüht ist, sie zu sich selbst kommt dabei.

Das ist wieder etwas, was bei mir anders war. Birgit empfand ihren Alltag immer als belastend, der sie daran hinderte, sie selbst zu sein. Ich weniger. Ich liebte es eigentlich, für meine Familie da zu sein und alle Probleme zu meistern. Das tue ich in gewisser Weise auch heute noch, eben für meinen 2. Mann und unsere Haustiere ... und wenn da mehr Menschen wären, um die ich mich kümmern könnte, habe ja auch meine Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt .. dann täte ich das ebenso.

Ich bin gern die Familienmama .. für jeden.

Ich glaube, Birgit hatte da einen gewissen Zwiespalt in sich, den sie auch genau versucht zu beschreiben, den ich bei mir nicht in diesem Maß wiederfinden kann.

Nun sind Menschen ja auch Individuen und Mütter ebenfalls und die Probleme, die Kinder mit uns haben, sind sicher auch individuell.

Ich habe die Vermutung, es verbindet uns, dass ich einen Mann mit Borderline-Syndrom geliebt und geheiratet habe, Birgit aber das Borderline-Syndrom selbst hat. Wir haben so beide unsere Kinder mit dem Borderline-Syndrom im Haus konfrontiert.

Ich bin schon gespannt, wie es bei Birgit weitergeht.

LG Renate

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