Freitag, 22. Juli 2016

Erinnerungen an eine Mitschülerin, die aus der Blomenburg Selent zu uns kam

Liegt sowas an der Heimerziehung oder wie schwer ist Heimerziehung bei so schweren Fällen?

 
Als meine Tochter Vanessa und ich im Abstand von zwei Jahren das Abitur beziehungsweise Vanessa die Fachhochschulreife am Fachgymnasium Preetz gemacht haben, hatten wir beide auch im Abstand von zwei Jahren die gleiche Klassenkameradin, die vorher lange in der Blomenburg Selent gelebt hat.
 
Beim Googeln im Internet stieß ich per Zufall auf dieses früher berüchtigte Jugend- und Erziehungsheim, in dem nur die besonders schweren Fälle an Jugendlichen untergebracht wurden, weil es wohl zu schwierig war, sie in Pflegefamlien oder weniger krassen Einrichtungen als der Blomenburg unter Kontrolle zu halten.
 
Da fiel mir diese junge Frau von damals wieder ein.
 
Dass sie im Leben wohl keine Chance hatte, lag ganz bestimmt nicht daran, dass sie nicht intelligent und im Prinzip fähig gewesen wäre, eine Menge zu erreichen. 

Ihr Problem war vielmehr, dass sie auch ohne Not nicht damit aufhören konnte, sich laufend zu prostituieren und ähnliche Dinge zu tun. Warum sie das tat, ich weiß es nicht, aber sie hat sich damit selbst eine sonst sicherlich recht gute Zukunft versaut.

Als erste von uns beiden lernte ich diese junge Frau kennen.

Sie hatte gerade als Klassenbeste noch unter Aufsicht der Erzieher von der Blomenburg an der Plöner Berufsschule ihren Realschulabschluss gemacht und war sehr stolz darauf. Das konnte sie auch sein.

Sie war nett, sie wurde in der Klasse akzeptiert, obwohl wir alle wussten, dass sie in die Blomenburg eingeliefert worden ist, weil sie ihrem alleinerziehenden Vater als Teenager weg gelaufen, dann bei einem Zuhälter gelandet und auf den Strich gegangen war .. als halbes Kind wohlgemerkt.

Sie war sehr gut in der Schule, aber nicht ganz so wie ich oder unser Klassenbester Helge.

Irgendwann nach ungefähr einem Jahr hing sie weinend an meinem Hals, weil ich sie beim 400-m-Crowl im Sportunterricht sehr knapp geschlagen hatte. Ich tröstete sie und habe gesagt, ich bin nicht gut in Sport, ich kann nur gut schwimmen, sie soll sich darüber keine Gedanken machen. Im nächsten Halbjahr bei Leichtatlethik würde sie mich locker abhängen.

Sie meinte, sie könnte nicht damit leben, nun nicht mehr Klassenbeste zu sein. Sie müsse entweder die Allerschlechteste oder die Allerbeste sein. Ich habe gesagt, Kind, das ist doch Blödsinn. Du bist gut, Du wirst eine tolle Zukunft haben, mach doch was draus. Helge kann und wird sich ganz sicher nicht zurück nehmen, denn der möchte Medizin studieren und braucht die extrem guten Noten. Damit wirst Du eben leben müssen.

Sie fing nur wenig später an, nur noch Unsinn zu machen und ging schließlich nach ca. einem Jahr zunächst von der Schule ab. Sie war inzwischen über 18, wurde nicht mehr sozialpädagogisch beaufsichtigt, hatte eine eigene Wohnung und einen sehr netten Freund.

Als Vanessa zwei Jahre nach mir begann, das Fachgymnasium zu besuchen, hatte sich die junge Frau überlegt, es doch noch einmal zu probieren. Sie war auch nicht mehr ganz so ehrgeizig und kam offenbar nun damit klar, gut, aber nicht unbedingt die Allerbeste in der Klasse zu sein. Auch die Klasse von Vanessa akzeptiere das Mädchen trotz ihrer heftigen Vergangenheit. Sie hatte auch dort Freunde und eigentlich zunächst keine Probleme.

Und dann in der 12. Klasse hatte die Klasse im Fach Wirtschaftslehre des Haushalts das Thema Werbung und es wurden Videos gezeigt.

Ein Mitschüler machte sich den sehr schlechten Scherz mit der jungen Frau und legte ohne Vorwarnung eine Videokassette ein, die sie in einem neu auf den Markt gekommenen Hardcore-Porno zeigte.

Sie rannte heulend aus der Klasse und ward auf der Schule nicht mehr gesehen.

Einige der Mitschüler haben sie gesucht und auch gefunden, weil sie sie wirklich gern hatten und ihr helfen wollten.

Ich habe den Ort vergessen, wo sie nun doch wieder an der Straße stand und auf den Strich ging. Sie blieb auch dort und ließ sich nicht mehr überreden, doch noch ein normales Leben anzufangen.

Was aus ihr geworden ist, ich habe keine Ahnung.

Soweit ich weiß und man kann das auch in den unten angehängten Links gut nachlesen, war die Erziehung in der Blomenburg Selent wirklich hart.

Offensichtlich war sie bei unserer Mitschülerin komplett nutzlos.

Es hat ihr nicht geholfen.

Wie man ihr hätte helfen können, ihr wirklich großes Talent und ihre Intelligenz zu nutzen statt sich ihr Leben zu versauen, indem sie auf den Strich ging oder billige Pornos drehte, ich weiß es auch nicht.

Ich weiß auch nicht, wie man heute Menschen therapiert, die so dermaßen abgerutscht sind und ob es heute Methoden gibt, die erfolgreicher sind.

Es fiel mir nur gerade so ein, als ich per Zufall über die Blomenburg fiel, denn es war eine wirklich traurige Geschichte.

LG
Renate




2 Kommentare:

  1. Ich bin auch eine Überlebende der Horrorburg. Wer nicht dort Leben musste kann sich nicht ansatzweise ein Bild über das Drama machen, welches sich hinter den Mauern abspielte. Jahrzehnte war ich stumm, und bin erst jetzt so weit das ich gegen das Land und die Jugendämter Klage.

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    1. Hei, das ist auf jeden Fall gut, dass Du jetzt darüber reden kannst und auch in der Lage bist anzuprangern, was man da mit Dir gemacht hat. Meine Klassenkameradin hat nie was darüber erzählt. Wie Du sicher gelesen hast, habe ich nur nicht verstehen können warum eine so intelligente und nette junge Frau ihr Talent nicht genutzt hat. Hübsch war die junge Frau dazu auch noch. Sie hätte so viel aus ihrem Leben machen können. Was man ihr angetan hat, dass sie es nicht tat, ich habe keine Ahnung, aber es war so schade um sie.

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