Dienstag, 26. Dezember 2017

Weihnachten allein zu zweit - Teil 3

- Tja .. nun ist dieses Horrorfest vorbei -


 Es ist nach Mitternacht .. Weihnachten ist vorbei und damit der Horror zu versuchen, an so einem Tag nicht das Fenster aufzureißen um rauszuspringen, damit man es endlich überstanden hätte.

Nein, das sollte man nicht tun.

Ich sollte mir da ein Beispiel an meinem Mann nehmen.

 Als wir uns kennenlernten, hat er mir was erzählt.
In den Jahren, als er glaube, das alles nicht mehr aushalten zu können, hat er sich laufend betrunken, weil er anders als besoffen nicht mehr zur Ruhe kam.
Tja und dann war da diese Geldstrafe. Ich glaube, er hatte einen von den Seitenbegrenzungspfählen einer Straße umgefahren und dann, auch weil er ständig zu viel getrunken hat, auch nicht mehr gepeilt, da um Ratenzahlung zu bitten.
So landete er im Gefängnis und als er wieder draußen war, obdachlos auf der Straße.

 Es war Winter und es lag Schnee. Jürgen hatte nichtmal einen Schlafsack. Er suchte Schutz in einem Offenstall irgendwo auf einer Weide. Es war so kalt, dass er jeden Abend dachte, es könnte sein, dass er morgens nicht mehr aufwacht, sondern erfroren wäre.
An den Folgen dieser kalten Nächte leider er heute noch .. genauer wie erzähle ich mal nicht. Ich kenne übrigens mehr Leute, die mal obdachlos waren und ähnliche Dinge erzählt haben.

 In einer Nacht sagte er, lief er ganz alleine durch die Straßen. Überall in den Häusern brannte Licht und er konnte die Menschen drinnen in ihren geheizten Wohnungen sehen .. und draußen schneite es, während er durch die eisige Nacht lief.

Da hat er sich gesagt, er muss auf der Stelle aufhören zu saufen, er will leben, auch ohne seine Ex und ohne seine Kinder, wenn sie nicht mit ihm leben wollen .. auch für sich selbst und allein. Er muss das schaffen, wieder ein Dach über dem Kopf zu kriegen, aber dazu erstmal weg vom Alkohol und seinen Depressionen.

 Er hat dann kurz drauf zuerst in einem Obdachlosenasyl in Soltau ein Zimmer bekommen, von da aus auch eine Sozialwohnung, dann danach auch zwei längere Beziehungen zu Frauen vor mir, was aber nicht langfristig gehalten hat .. und den nicht eben tollen Job bei Randstad, wo er nur ausgenutzt worden ist.

 Jürgen hat das mit seiner Ex gut verkraftet, aber das mit seinen Kindern bis heute nicht wirklich.

Aber er zeigt mir, wie man damit leben kann.

Er sagt immer, sei froh, dass sie überlebensfähig sind .. das haben wir ihnen beigebracht .. wir haben sie alle 6, seine und meine, zu lebensfähigen Menschen erzogen.

Wenn sie uns nicht lieben, dann ist das eben so. Wir sollten versuchen, damit klarzukommen und uns freuen, dass wir uns gegenseitig haben.

 Trotzdem sagt er auch manchmal was anderes.

Heute zum Beispiel lief ein junger Mann mit roter Jacke durch den Riesengarten des Grundstücks unten neben unserer Weide.

Der läuft schonmal sein Erbe ab, meinte Jürgen, und dann, stell Dir vor, wir hätten dieses Haus mit diesem Riesengrundstück, dazu noch hier diese Weide und das alles zu vererben. Wetten wir hätten dieses Jahr zu Weihnachten viel Besuch gehabt?

 Tja .. aber wir haben ja nichts zu vererben, was einen Wert hätte und auch nichts Besonderes anzubieten, was wir beide nun können.

Wir sind nur zwei alte Leute, die sich so eben und eben durchs Leben schlagen und ihre Kraft daraus ziehen, dass wir unsere Haustiere betüdeln dürfen.

Ich weiß auch heute nicht mehr, ob ich nur deshalb geliebt werden wollen würde, weil meine Kinder denken sollten, sie müssen sich mit mir gutstellen, damit ich sie nicht enterbe.

 Ich bin da schon so vermessen, dass ich um meiner selbst ohne Geld, ohne Nutzen und so wie ich bin, nervig, anstrengend und allmählich alters-schrullig geliebt werde wollen würde.

Und es tut mir sehr weh, dass das nur der Jürgen tut .. aber nicht meine Kinder und meine Enkelkinder mich gar nicht lieben können, weil die mich überhaupt nicht kennen und auch zu alt sind, dass sie mich noch innerlich so kennenlernen könnte, dass eine Bindung entsteht.

 Ich habe eben unserer Freundin in Bayern geschrieben und ihr erzählt, sie und ihr Mann sind nicht alleine, dass sie das Heulen kriegen, wenn da so Lieder wie "Oh Du Fröhliche" laufen, weil ihre Kinder nicht mehr da sind .. wir kennen mehr Leute, denen es genauso geht .. auch wir und die zwei da unten sind nicht die Einzigen, es gibt sehr viele von uns, denen es ganz genauso geht.

 Jürgen sagte nochwas heute, als wir bei den Pferden waren, und auch damit hat er natürlich recht.

Wenn die eigenen Kinder einen verstoßen, das mögen die meisten Menschen nicht offen sagen. Die leiden still vor sich hin, quälen sich heimlich, denken sich irgendwas aus, warum die Kinder nicht mehr kommen oder belügen sich sogar selbst .. weil man sich ja so schämt, wenn einen die eigenen Kinder in dern A... treten.

 Ja damit hat er recht.

Wenn man sowas erzählt, wird immer gesagt, versuch doch mal dieses und jenes und Du hast bestimmt früher was gemacht, das nicht gut war.

Sicher .. jeder Mensch macht mal was, da nicht gut war .. Eltern können gar nicht vollkommen sein und wenn man nach Fehlern in der Vergangenheit sucht, dann findet man immer welche.

 Meine werfen mir z. B. vor, ich wäre überbehütend gewesen, hätte mich zu sehr für alles interessiert, was sie gemacht hätten und zu viel Anteil genommen an ihren Hobbys und allem, was ihnen gelegen hätte.

Das geht dem Ehepaar in Bayern übrigens auch so .. die wurden auch verstoßen, weil sie zu überbehütend gewesen sein sollen.

Man kann also auch zu viel lieben und dann ist man böse.

 Wird man über sowas wirklich böse, ist man auch böse .. wie kann man sich nur darüber aufregen, sogar dafür angegriffen zu werden, dass man seine Kinder nicht geschlagen hat, versucht hat, ihre Wünsche zu erfüllen, versucht hat, sich für sie zu interessieren, sie ernst zu nehmen, ihre Interessen zu fördern.
Man kann darüber böse sein .. ich bin darüber böse.

 Und dass ich mir das hier von der Seele schreibe, macht mich natürlich auch wieder zu einem bösen Menschen .. warum kann ich nicht wie viele andere Eltern ganz leise vor mich hinheulen.

Oder sollte ich mir das Leben nehmen?

Wäre das besser?

Ich glaube nicht! ..das wäre sicher sehr böse, ich würde ihnen ja Schuldgefühle bereiten.

 Nein keine Panik .. ich habe nicht vor, mir das Leben zu nehmen.

Ich hasse nur Weihnachten genauso wie Muttertag, Ostern oder meinen Geburtstag, weil mich solche Tage immer daran erinnern, dass ich mal Kinder hatte, denen ich so egal bin, dass sie mich einfach ignorieren.

 Und nun ist dieses Horrorfest vorbei, wo ich heute nichtmal dieses wieder schöne Wetter bei den Pferden genießen konnte.

Auf de Bildern sieht man nämlich, wie da die Sonne scheint und der Himmel wunderbar blau war.

Tja . ich hätte den Kids so gern mal unser kleines Reich gezeigt .. irgendwann . ich bin da ganz bescheiden.

Es wäre mir und Jürgen sicher auch egal, ob sie nun Weihnachten kommen .. es wäre nur schön, wenn sie zumindest ab und zu mal eine Nachricht schicken würden und uns vielleicht ab und zu besuchen. Ein- bis zweimal im Jahr wäre schon toll .. aber auch das ist leider zu viel verlangt.

 Tja .. so haben wir nun also Weihnachten rum .. Gott sei Dank.

Und Ruhe bis zum nächsten Jahr, wo das Trauerspiel dann wieder von vorne losgeht, weil man Weihnachten leider nicht einfach mal so ignorieren kann.

 Vielleicht war es gut, dass das Wetter so toll war.

Ich glaube, Hagel, Sturm und Regen hätten meine schlechte Laune sicher noch schlechter machen können .. so lachte jedenfalls die Sonne und mein Mann auch, der verzweifelt versucht hat, mir einen blöden Witz nach dem anderen zu erzählen .. nur helfen mir dumme Witze bei derartigen Depressionen leider nicht.

 Ich schaff das leider nicht, meine Gefühle einfach so zu unterdrücken. Die muss ich rauslassen und nicht runterschlucken, sonst ersticke ich nämlich daran.

Sie aufzuschreiben hilft mir ... ist ne Art Selbsttherapie für mich.

Und wenn das jetzt indiskret ist, ist mir das ehrlich gesagt egal.


Eins habe ich von Jürgen nämlich schon übernommen. 

Ich sollte versuchen, für mich selbst zu leben und dazu gehört, das alles erstmal zu verarbeiten und drüber zu reden ist meine Art, es zu verarbeiten.

LG
Renate

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